Objekt des Monats August 2023
Die Porträtbüste Wilhelm Ostwalds

Während eines Wien-Aufenthaltes ließ Wilhelm Ostwald im März 1931 – und damit ein Jahr vor seinem Tode – einen Lebendabguss von seinem Kopf vornehmen. Seine Tochter Margarethe Ostwald beschrieb dies in ihren Erinnerungen folgendermaßen: „Mit großem Interesse unterzog er sich aber schließlich noch einer Abformung seines Kopfes nach dem Poller-Verfahren und stieg dann müde, doch befriedigt in den Schlafwagen zur Heimfahrt.“
Das Poller-Verfahren ist nach dem Mediziner und Entwickler Alfons Poller (1879 – 1930) benannt. Er bediente sich der sogenannten Moulagetechnik (von französisch mouler = formen, abformen) und entwickelte dafür neuartige Materialien. Ursprünglich wurde es für die dreidimensionale Abformung von Körperteilen genutzt, um menschliche Krankheitsbilder darzustellen. Die Methode wurde später weltweit von den Kriminalbehörden für die Spurensicherung genutzt und auch im künstlerischen Metier wurde das Verfahren angewendet. Dabei wurde eine plastisch verformbare Masse, genannt Negocoll, auf die betreffenden Körperteile aufgebracht und nach kurzer Zeit wieder abgenommen. In das Negativmodell wurde eine weitere Masse (Hominit, Granulit oder Cerestit) mit dem Pinsel aufgetragen, so dass eine sehr naturgetreue Abformung entstand. In den 1930er-Jahren wurden jährlich bis zu 120 Abgüsse in der Abformabteilung des Erkennungsamtes der Bundespolizeidirektion Wien angefertigt. Die letzte Anwendung des sogenannten Pollerns fand 1976 statt.
Der Lebendabguss von Wilhelm Ostwald besteht aus rötlichem Gips und hat einen bronzefarbenen Überzug, im Inneren ist die Büste hohl. Ein Papierschild, auf der Rückseite ist mit der handschriftlichen Aufschrift Büste von Eugenie Burghild Poller, Wien versehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist dies die Ehefrau von Alfons Poller, die das Verfahren ihres 1930 verstorbenen Mannes fortgeführt hat.
Ende 1931 traf die fertiggestellte Büste in Großbothen ein, worüber die Tochter Margarethe berichtete: „Noch vor Weihnachten kam die Poller-Büste aus Wien und wurde mit Spannung ausgepackt. »Du, der Lebende gefällt mir aber viel, viel besser!« sagte meine Mutter zärtlich. »Ich bin aber nicht so schön bronziert« lachte mein Vater. Der Gipsabguß war in der Tat bronziert und eine gewisse Ähnlichkeit mit Plato war nicht zu leugnen. Auffallend war, wie klein der Kopf neben dem lebenden wirkte. Es fehlte wohl das Ausstrahlende und Leuchtende der warmroten Gesichtshaut und des schneeweißen, glatzenlosen Haupt- und Barthaares. Sehr befriedigend fanden wir die kräftige, wohlgeformte Nase, die auf Fotos meist mißriet und das reichgeformte Ohr, auch die Wangen waren ähnlicher als meist. Der Bart war etwas zu lang geraten.“
Die Büste wird im Museum des Wilhelm Ostwald Parks ausgestellt.
Höhe: 47 cm, Breite: 24 cm, Tiefe: 26 cm
Zitate aus: Margarethe Ostwald: Mein Vater Wilhelm Ostwald, 1953