Objekt des Monats Juni 2022
Pastellportrait „Alte Dame“ von Grete Ostwald
Margarethe Mathilde, genannt Grete Ostwald, am 13. Februar 1882 als erstes Kind Wilhelm und Helene Ostwalds in Riga geboren, hatte bereits früh künstlerische Unterweisungen erhalten, unter anderem an der „Mal- und Zeichenschule für Damen“, die Anton Klamroth (1860–1929) in Leipzig unterhielt. Von 1905 bis 1907 studierte sie an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule in Weimar unter anderem bei Sascha Schneider. Das Studium konnte sie nicht abschließen, musste sie doch ab 1907 zur Unterstützung ihrer Eltern bei den Alltagsarbeiten auf den gemeinsamen Familienwohnsitz Energie zurückkehren und lebte seither in Großbothen. Das Malen und Zeichnen behielt sie jedoch soweit möglich bei, selbst nachdem sie 1918 an Polyarthritis erkrankte und dadurch in ihrer Beweglichkeit bis in die Finger hinein stark eingeschränkt war.
Unter den in der Sammlung überlieferten Arbeiten Grete Ostwalds finden sich mehrere Portraitzeichnungen auf Papier. Die Spanne reicht dabei von Kleinkindern, über Mädchen und Damen bis hin zu Männern und Frauen höheren Alters in Bleistift und Kohle, Rötel oder Pastell. Während ihrer Studienzeit entstanden auch annähernd lebensgroße Bildnis- und Aktzeichnungen, sowohl von Frauen als auch von Männern. Das vorliegende Portrait zeigt das Bildnis einer älteren Dame im Profil nach rechts und ist mit Pastellfarben auf recht grobem, bräunlichen Büttenkarton von circa 51 cm Höhe und 42 cm Breite ausgeführt. Das Bild ist unten links signiert mit M[argarete]. Ostwald und bezeichnet mit Dez. 1902.
In der Sammlung des Wilhelm Ostwald Parks existiert ein technisch vergleichbares Portrait Wilhelm Ostwalds, welches ihr Lehrer Anton Klamroth 1904 ebenfalls in Pastellmalerei ausführte. Die formalen Parallelen zwischen den Portraits sind bemerkenswert. Beide konzentrieren sich auf die detaillierte Ausgestaltung der Physiognomie, während der Hintergrund lediglich durch blasse, helle Farbflächen am Hinterkopf leicht angedeutet wird, bei Klamroth noch wesentlich reduzierter als bei Grete Ostwald. Eng verwandt ist auch die Behandlung von Körper und Kleidung. Die unmittelbar zum Kopf angrenzenden Teile sind zwar in der Linienführung in einer durchaus freien Malweise, aber dennoch in einer dem Betrachter natürlich erscheinenden Form dargestellt. Die Dame trägt auf dem Hinterkopf eine schwarze Haube aus Tüllspitze, deren breiter Rand in Falten gebrochen ist. Sie stellt ein eher modisches Accessoire dar, welches vielleicht auch auf eine Witwenschaft hinweist. Unterhalb des Kopfes ist die grauschwarz gehaltene Kleidung lediglich angedeutet. Zu erkennen ist ein Kragen oder ein Tuch über der Schulter sowie eine flache Brosche auf der Brust. Der Körper unterhalb der Schultern ist nurmehr durch wenige Stiche angedeutet, die in der Blattfläche auslaufen. Das ausdrucksstarke Gesicht und die weißgrauen Haare zeigen deutlich das fortgeschrittene Alter der Portraitierten an, ohne dabei auf ebenmäßige Gesichtszüge zu verzichten. Wohl sind einige Grübchen dargestellt, eine typische altersbedingte Faltenbildung findet sich in der Darstellung jedoch kaum. Selbst die Geschlechtsspezifik ist im Gesicht selbst kaum ablesbar. Reduziert man den Ausschnitt darauf, ist nicht sicher zu entscheiden, ob es sich um einen älteren Mann oder eine Dame handelt. Auf der Rückseite ist handschriftlich der Vermerk „Alte Dame“ angebracht. Die Person bleibt damit im Anonymen, ein Familienmitglied ist vermutlich nicht dargestellt, denn hier wäre ansonsten wohl eine Namensnennung zu erwarten.
Grete Ostwald hatte die Anlagen für eine künstlerische Laufbahn, welche durch die biografischen Umstände letztlich nicht in Erfüllung ging. In der Sammlung des Wilhelm Ostwald Parks werden ihre Arbeiten für die Nachwelt bewahrt.