Objekt des Monats Mai
Handmikrotom


Anfang des 20. Jahrhunderts wandten sich Wilhelm Ostwalds Forschungen der Maltechnik zu. Er gab Hinweise zur Herstellung dauerhafter Gemälde aus dem Blickwinkel des Physikochemikers, die 1904 als „Malerbriefe“ gesammelt veröffentlicht wurden. Außerdem versuchte er, andere Wissenschaftler für die mikroskopische Analyse von Gemälden zu gewinnen um Informationen zu den Techniken alter Meister (Van Eycks) zu gewinnen oder Echtheitsuntersuchungen durchzuführen. Allerdings:
„Da der Mann auf den ich die meiste Hoffnung gesetzt hatte […] auf längere Zeit Europa verlässt […] blieb nichts übrig, als selbst zu tun, was andere nicht tun wollten.“
Die Rede ist von Felix Rosen, Botaniker an der Universität Breslau, der sich aber 1904–05 der sogenannten „Rosengesandtschaft“ seines Bruders Friedrichs zum Negus Negesti Menelik II. von Abessinien (Kaiser des heutigen Äthiopien) anschloss. Durch den Ausfall Rosens motiviert erlernte Ostwald deshalb in den Weihnachtsferien 1904 mit Hilfe des Leipziger Botanikers Wilhelm Pfeffer (Vater der modernen Pflanzenphysiologie und Direktor des direkt neben dem Leipziger Physikalisch-Chemischen Institut gelegenen Botanischen Gartens) die Herstellung von Gemälde-Dünnschnitten, anhand eines „kleinen Oelgemälde[s], das vor etwa dreißig Jahren von einem inzwischen verstorbenen Verwandten gemalt worden war.“
Hierzu diente ein Handmikrotom, wie es in der Sammlung des Wilhelm Ostwald Parks erhalten geblieben ist. Das Gerät besteht aus einem 7 cm durchmessenden Glastisch in dessen Mitte ein metallischer Zylinder des Durchmessers 22 mm eingelassen ist, der sich über eine Mikrometerschraube an der Unterseite des Geräts um je 10 μm per Teilstrich heben und senken lässt. Zu schneidende Proben werden in dem Zylinder mit einer seitlichen Klemmschraube fixiert und dünne Scheiben heruntergeschnitten, indem enganliegend mit einem scharfen Messer über den Glastisch gefahren wird. Botanische Proben werden hierfür typischerweise zum Beispiel in Paraffin eingegossen, oder in eine geschlitzte Karotte oder einen geschlitzten Korken gesteckt.
Anhand der so erstellten Querschnitte untersuchte Ostwald die, bei der Herstellung der Gemälde verwendete, Technik.
Unter „Technik“ ist hier die Gesamtheit der materiellen Operationen verstanden, welche für die Herstellung des Bildes ausgeführt worden sind. Diese kennzeichnen sich als ebensoviele übereinanderliegende Schichten aus den angewendeten Substanzen. Und zwar wird man im allgemeinen vier Hauptschichten unterscheiden können (die allerdings nicht immer alle vertreten zu sein brauchen), nämlich den Bildträger, den Malgrund, die Bildschicht, d.h. die Farben mit ihrem Bindemittel und endlich die Schutzschicht (Firnis, Glas u. dgl.), welche die darunterliegende Bildschicht gegen mechanische und andere Schädigungen zu schützen bestimmt ist.“
„So kann man unter dem Mikroskop nicht nur die letzte Hand sehen, sondern jede einzelne Operation, die der Künstler und seine etwaigen Nachfolger ausgeführt haben.“
Maße: 8,5 × 7 × 7 cm
Ostwald, W.: Malerbriefe: Beiträge zur Theorie und Praxis der Malerei (S. Hirzel, Leipzig, 1904).
Ostwald, W.: Die Technik der Malerei. Die Woche 7, 17–19 (1905).
Ostwald, W.: Gemälde unter dem Mikroskop. Die Woche 7, 249–251 (1905).
Ostwald, W.: Ikonoskopische Studien, 1: Mikroskopischer Nachweis der einfachen Bindemittel. Sitzungsberichte der Königl. Preuss. Akademie der Wissenschaften 5, 167–174 (1905).
Rosen, F.: Eine deutsche Gesandtschaft in Abessinien (Veit & Comp., Leipzig, 1907).