Objekt des Monats August 2022
Der Flügelthermostat
Wilhelm Ostwald begann im Jahr 1882 am Rigaer Polytechnikum als Professor zu arbeiten. Dort beschäftigte er sich zunehmend mit dem Verlauf chemischer Vorgänge. Um hierbei exakte Messungen durchführen zu können, war es notwendig, über längere Zeit eine konstante Temperatur zu halten. Ostwald schrieb selbst dazu: Das war damals eine schwere Aufgabe, denn brauchbare Thermostaten, die durch Wochen und Monate betätigt werden konnten, gab es nicht.
So entwickelte er selbst einen Apparat, welcher später den Namen Flügelthermostat oder Ur-Thermostat erhielt. Ostwald selbst spricht auch vom Gas-Regulator, da die Regulierung der Temperatur mit Hilfe von Gaszufuhr oder Gasdrosselung erfolgte. Zur Entstehung des Thermostaten schrieb er: „Nach einigen Wochen methodischer Arbeit, wobei mir meine Glasblasekunst, so unvollkommen sie war, entscheidende Dienste leistete, war der […] Regulator erfunden, der unter sehr geringen Wandlungen durch ein Menschenalter seine Dienste in der ganzen Welt geleistet hat und noch leistet, […].“
Ostwald nutzte den Thermostat unter anderem, um über 300 Säureproben auf ihre elektrische Leitfähigkeit zu untersuchen. Dies erforderte eine konstante Temperatur, die wie folgt erreicht wurde: Am Boden des mit Wasser gefüllten Gefäßes befindet sich ein Glaszylinder, der mit einer Regelflüssigkeit (Chlorkalziumlösung / Toluol) gefüllt ist. Der Glaszylinder hat ein Verbindungsrohr nach außen, welches in ein U-förmiges Rohr mündet und mit der Gaszufuhr verbunden ist. Im U-Rohr befindet sich Quecksilber als Sperrflüssigkeit. Sobald eine Ausdehnung der Regelflüssigkeit erfolgt, wird das Quecksilber dahingehend verschoben, dass die Gaszufuhr gedrosselt wird. Wenn die Temperatur sinkt, wird wieder Gas zugeführt und die Temperatur bleibt konstant. Das Flügelrad wird durch die nach oben steigende warme Luft in Bewegung gesetzt und hat die Funktion, das Wasser im Metallgefäß gleichmäßig zu vermischen.
In der Phase, in der Ostwald den Thermostat testete, war er zunächst vorsichtig und beschreibt dies so: „Zuerst wurde das Gerät während der Stunden in Gang gehalten, die ich im Laboratorium verbrachte. Dann wagte ich es über Mittag während meiner Abwesenheit gehen zu lassen. Erst nachdem ich mich überzeugt hatte, daß keinerlei Unregelmäßigkeiten eintraten, faßte ich den Entschluß, es über Nacht brennen zu lassen, nicht ohne den Hausmann zu ermahnen, diesmal besonders gut aufzupassen.“
1887 wechselte Ostwald als Professor für Physikalische Chemie an die Universität Leipzig. In seinem Arbeitszimmer wurde zeitnah ein Thermostat aufgebaut, damit er die Leitfähigkeitsmessungen fortsetzen konnte. Ab 1897 wurden die Thermostaten in Zusammenarbeit mit dem Universitätsmechaniker Friedrich August Köhler (1869–1943) weiterentwickelt und in dessen Werkstatt angefertigt.
Sämtliche Thermostaten, mit denen Ostwald arbeitete, sind nicht erhalten geblieben. 1977 bauten Studenten der Sektion Chemie der Universität Leipzig unter Mitwirkung des Glasbläsermeisters Joachim Lux (1940–2012) das hier abgebildete Gerät nach und testeten seine Funktionsweise. Dafür nutzten sie die Beschreibungen von Wilhelm Ostwald. Heute steht das Flügelthermostat im Labor des Wilhelm Ostwald Museums und kann von Besucherinnen und Besuchern besichtigt werden.
Maße: Höhe 55cm / Breite 36cm / Tiefe 20cm
Material: Metall, Glas, Gummi
Quellen:
Ostwald, Wilhelm: Lebenslinien, 1927
Messow, Ulf: Zur Entwicklung der Thermostatisierung unter spezieller Beachtung des Thermostaten nach Wilhelm Ostwald, 2012